Stopover – Orange Park (Florida)
11. Oktober
Es ist Anfang Oktober, im Harz schneit es, aber auch die Amerikaner haben ihre Probleme; Schnee zählt nicht dazu.
Stattdessen sitzen die Menschen in Florida in ihren Häusern und Autos und warten die Hitze ab. Wenn man ihnen erzählt, dass unsere Sommer im Schnitt aus 20 Grad bestehen, schauen sie einen mitleidig an; sonst aber finden alle Deutschland gut.
Auf dem Weg von Florida in den Norden etwa aß ich gerade zu Abendbrot in einem Restaurant. Auf der Karte stand Sauerbraten und „German Style Mushrooms“; ich entschied mich für Lachs und Kartoffelpuffer; ich war doch nicht tausende Kilometer geflogen, um Sauerbraten zu essen. Aber, es wird zunehmend schwerer.
Gerade noch saß ich in Florida mit Freunden zusammen und alle schwärmten von deutschem Essen. Ich sagte nichts; ich wollte Deutschland nicht reinreißen. Dann erwähnte jemand in der Runde, dass die Currywurst zwar ein deutsches Nationalgericht sei, aber von den Türken erfunden wurde; ich sagte wieder nichts, ich wollte nicht altklug klingen, außerdem war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob er nicht vielleicht recht hatte.
Jeder scheint hier über Deutschland mehr zu wissen als ich selbst; und um ehrlich zu sein, ich will hier gar nicht als Deutsche erkannt werden. Trotzdem erwähne ich es immer wieder. Es ist meine Generalentschuldigung für alles, was ich nicht weiß und was ich nicht kann.
Wer hier etwa tanken will, braucht eine bestimmte Pin, um gleich an der Zapfsäule mit der Karte bezahlen zu können; die aber hat man als Ausländer nicht. Also geht man in den Shop und legt dort seine Geldkarte vor. Und jedesmal, wenn ich erklären will, warum ich keine Pin habe, sage ich, dass ich aus Deutschland komme; ich will das gar nicht, es passiert einfach, die Leute aber scheint das nicht zu stören.
Als ich mir ein Fahrrad in Atlanta geliehen hatte, brachte ich das Rad vertragsgemäß auf die Minute zurück. Der Händler guckte erstaunt auf die Uhr – und statt einfach zu bezahlen, meinte ich: „Ich bin Deutsche, wir sind pünktlich.“ Man redet so viel Müll.
Bei den Freunden in Florida kamen wir im Laufe des Gesprächs auf das Thema Nationalstolz. Der Kanadier war stolz, Kanadier zu sein, der Amerikaner war stolz, Amerikaner zu ein, nur ich erklärte, dass ich ein Problem mit meiner Herkunft hätte. Das verstanden sie nicht. Im Gegenteil. Plötzlich erzählte beinahe jeder, dass er eigentlich deutsche Vorfahren habe. Der Kanadier sagte sogar, dass er im Herzen mehr Deutscher als Kanadier sei; beinahe hatte ich ein schlechtes Gewissen.
Je mehr man sich der Heimat entfernt, desto näher kommt man ihr.
Sauerbraten kann mir trotzdem gestohlen bleiben. Türkisch hin, türkisch her.
Völkerverständigung:
Wie Sauerbraten aussieht, ist bekannt. Aber was ist das?
Das ist ein Stück „Key Lime Pie“ – a Florida creation. So habe ich es gelernt, so schreibe ich es auf.
Und für alle, die es ganz genau wissen wollen: Ein Link zum Rezept
http://www.foodnetwork.com/recipes/emeril-lagasse/key-lime-pie-recipe/index.html
Süß. Mächtig. Von nichts kommt nichts.
Und noch ein Florida-Original:
Leoma Lovegrove. Künstlerin. Lebensexpertin. Unikum. Und der einzige Mensch, den ich kenne, der Sarah Palin gut findet. Ihren Bildern merkt man das zum Glück nicht an. Dringend mal auf ihre Seite gucken.
http://www.leomalovegrove.com
Leoma Lovegrove.
He, wirklich Klasse geschrieben. Es ist ja ein urdeutsches Problem mit dem Stolz auf die eigene Nation. Für jedes Volk ist es das normalste auf der Welt auf seine Nation stolz zu sein. Nur wir Deutsche haben da so ein Identitätsproblem. Das widerum kann niemand außerhalb Deutschlands verstehen. Ich hab das selbst auf Reisen auch immer wieder erlebt in allen möglichen Ländern. Alle schütteln nur den Kopf über uns. Aber dieses Problem ist hausgemacht und kann auch nur durch uns selbst gelöst werden. Naja, vielleicht gelingt uns das irgendwann doch noch. Denn im Grunde hat ja jede Nation so seine Leichen im Keller.