Clayton (California)

Clayton (California)

29. November

Man wird zunehmend autistisch mit den Jahren. Man braucht seinen Kaffee am Morgen, sein Bier am Abend, man braucht die Matratze hart, die Fenster offen, die Fenster zu, kein Kissen, viele Kissen; jede Störung im Ablauf kostet Kraft. Man hat sich seinen eigenen kleinen Kosmos geschaffen – und genauso möchte man ihn überall auf der Welt. Die Anforderungen werden größer, die Zugeständnisse kleiner.

Jetzt etwa sitze ich in einem Hotelzimmer – und habe die vergangene Nacht mit dem Programmieren der Klimaanlage verbracht. Ich mag keine Klimaanlagen. Ich halte sie für die größte amerikanische Sünde. Meine Haut ist trocken, mein Hals kratzt, ich kann schlecht atmen – das Problem nur ist: Man kann ihr nicht entgehen. Es ist wie mit dem Hase und dem Igel. Die Klimaanlage ist immer schon da.

Kürzlich habe ich beim Frühstück darum gebeten, sie auszustellen, weil egal, an welchem Tisch man saß, ein kalter Wind in die Kleider fuhr. Draußen waren 10 Grad; drinnen waren zehn Grad. Aber als ich dem Kellner meinen Wunsch erklärte, guckte er mich an, als hätte ich ihm einen versauten Witz erzählt. Möglicherweise erwartete er eine Hitzewelle.

In Georgia hatte ich ein Zimmer mit Balkon zum See gebucht. Die Aussicht war schön, der See war da, der Balkon war da – nur: auf jedem Balkon stand eine Klimaanlage in der Größe einer Gefrier-Truhe und mit der Betriebsamkeit einer Autobahn. Ich wünschte mir Schnee.

Die Stunden der vergangenen Nacht drückte und probierte ich an der Klimaanlage, ich versuchte, sie ausstellen, mir war kalt; aber immer, wenn ich dachte, das System begriffen zu haben und mich ins Bett legte, sprang das Gerät wieder an. Nicht nach einer Minute. Es wartete, bis ich gerade am Einschlafen war. Hase und Igel.

Ich habe gelesen, dass die Klimaanlage in Amerika zahlreiche Herzattacken verhindert habe. Amerikaner brauchen sie in der Hitze zum Überleben. Jetzt ist November. Ich bin Deutsche. Ich werde die erste Kältetote in einem Hotelzimmer sein. Was für ein bescheuertes Ende.

 

Zuletzt getroffen:

Andrea. Mit ihr verbindet mich eine gemeinsame Woche Englisch-Kurs im Schwarzwald – jetzt haben wir uns in ihrem Heimatort Clayton nahe San Francisco wieder getroffen. Und was macht man in Kalifornien? Fährt ins Napa-Valley zur Weinverkostung. Außerdem: Besuch der Enkel beim Großelternschultag in Oakland. Gelernt: Auch Amerikaner lernen Fremdsprachen. In diesem Fall: ab sechs Jahren französisch.
Andrea arbeitet aus Travel-Agent. Vor sieben Jahren hat sie ihren Mann, einem Krebs-Spezialisten, ironischerweise durch Krebs verloren. Die Jahre danach waren für sie nicht einfach; heute ist sie Mitglied der Evangelical Presbyterian Church, die unter anderem gleichgeschlechtliche Ehen ablehnt; bedauerlich, denn abgesehen davon ist sie ein Schatz.

Nappa

Cheers.

Nappa2

Andrea im Gespräch mit Enkel und Schwiegertochter.

Nappa1

Kindertag.

 

Außerdem:

Leserin Heike L. aus „der Nähe von Lübeck“ schreibt: „Es macht mir ungeheuren Spaß, deine Reise zu verfolgen.“ Sie will wissen: „Ist alles so strange, wie erwartet?“
Marion H. antwortet: „Es ist normaler als man glaubt. Meistens jedenfalls.“